die Kunst vom Sockel heben - Kunstvermittlung als Teil des künstlerischen Prozesses

Was ist Kunst?

Diese Frage kann natürlich nicht allgemeingültig beantwortet werden. Jedem künstlerischen Werk liegt Erfahrung, ein individueller Blick auf die Dinge, ein bestimmtes Weltverständnis zu Grunde und nicht zuletzt die Fähigkeit, diesen persönlichen Vorstellungen und Intentionen eine Form zu geben. Dabei ergibt sich nicht zwingend der Ansatz einer Botschaft oder pädagogischen Zielstellung, Kunst kann auch schlicht für sich stehen und einzig dem Ästhetischen, der Erbauung dienen. Unserem heutigen Kunstbegriff liegt aber eher eine breitere Basis zugrunde: über den rein dekorativen, sinnlichen Zweck hinaus hat Kunst von alters her die Aufgabe gehabt, eine Botschaft zu transportieren. Ein treffendes Beispiel hierfür in unserer Kultur ist die christlich-byzantinische Kunst, die dem Zweck diente, mit Hilfe einer ausgeprägten Symbolsprache und allgemeingültigen Lesart auch den Zeitgenossen, die nicht in der Lage waren, die Texte der Bibel zu lesen, ihre Glaubensinhalte zu vermitteln und zu verdeutlichen. Über die Phase von Renaissance und Aufklärung hinweg haben sich die Künstler mehr und mehr von vorgegeben Inhalten emanzipiert, künstlerische Ansätze und Ausdrucksformen wurden zunehmend individualisiert. Dieser Weg des Künstlers hin zum Subjektiven gipfelte im 20. Jahrhundert schließlich in der Loslösung vom Abbilden realer Gefüge und schließlich völliger Abstraktion. Mit den Ausdrucksformen wuchs auch das Spektrum an inhaltlichen Ansätzen, der Einfluss des Künstlers als Individuum und damit die Interpretationsspielräume seitens des Kunstpublikums. Kunst kann politisch, religiös, philosophisch, naiv usw. sein, sie kann das Menschenbild, die zeitgeschichtlichen Umstände, die menschliche Wahrnehmung oder gar sich selbst in Frage stellen, um nur einige moderne Ansätze zu nennen.

Wie kann Kunst aber dann noch zweifelsfrei verstanden werden und ist das überhaupt notwendig?

Muss Kunst verstanden werden? Kann Kunst verstanden werden? Will Kunst verstanden werden? Ein Weg dies zu beantworten führt über den Dialog in der Kunstvermittlung.

 

Die Vermittlung von Wissen über die Bildende Kunst, wie auch über alle anderen Kunstformen und den damit in Verbindung stehenden Bezügen in Alltag und Gesellschaft ist ein wichtiger Aspekt für eine umfassende Bildung und ein waches Erleben der kulturellen Welt. Der Begriff Kunstvermittlung beschreibt Prozesse, die das Ziel haben einem Betrachter beziehungsweise einem Publikum ein beliebiges Ergebnis künstlerischer Arbeit näher zu bringen und inhaltlich begreiflich zu machen. Meist sind hier pädagogische Vorgänge und Hilfsmittel im herkömmlichen Sinne gemeint (Vorträge, Lehrveranstaltungen, Lehrbücher, Begleittexte…). Aber auch andere Begebenheiten führen zu Auseinandersetzung mit Kunst: allen voran das direkte Gespräch darüber. Wobei hier nicht das Prinzip von Lehrendem und Lernendem gemeint ist, nicht das Deklamieren von kunsthistorischen Begebenheiten und kunsttheoretischen Begriffen, sondern ein gleichberechtigter Dialog zwischen Betrachtern. Dabei muss kein hochintellektueller Diskurs über das besprochene Werk entstehen, es genügt schon, wenn einander einfache Eindrücke geschildert und Ideen geäußert werden. Eine gegenseitige Befruchtung der Gedankenwelt, des emotionalen Zuganges, der Sehraster. Habe Mut dich deiner eigenen Fantasie zu bedienen. Der eigene Eindruck ist richtig. Solche Gedankenaustausche üben die Fähigkeit der Kunstbetrachtung mehr als jedes Lehrbuch es vermag und führen letztlich dazu, dass auch in der individuellen Konfrontation mit Kunst die erlernten Gesichtspunkte abgefragt werden können. So wird eine freie und individuelle Interpretation und Bewertung eines Kunstwerkes ermöglicht, die dann ungebunden an Informationen aus Kritiken und Ausstellungskatalogen aufblühen oder diese ergänzen kann.

Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte erschauen können. Dass der Leser das, was das Buch aussagt, in sich selber erkennt, ist der Beweis für die Wahrheit eben dieses Buches und umgekehrt.“ (Proust, M.: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.)

„In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Um die Wege des Verstehens von Kunstwerken nachvollziehen zu können muss zunächst das Spannungsfeld zwischen Werk und Rezipient betrachtet werden: Ein Rezipient ist zunächst nur der Empfänger im medialen Kommunikationsprozess, muss also vorerst die Entscheidung treffen, tatsächlich zu rezipieren (lat. recipere = aufnehmen) und sich das Werk zu eigen machen zu wollen. Das Werk selbst kann teils objektiv, vor allem aber subjektiven Gesichtspunkten entsprechend jeder Abstufung zwischen leicht verständlich und völlig unzugänglich zugeordnet werden. Das Werk ist das Kommunikationswerkzeug des Künstlers. Wie beim Sprechen steht ihm ein Spektrum an Ausdrucksformen zur Verfügung. Wie ein Poet wie Marcel Proust im oben stehenden Zitat Worte aneinanderfügt und damit Stimmungen, Gefühle und Bilder transportiert, so verbindet der bildende Künstler Farben, Formen, Linien und Materialien zu seiner Aussage. Dabei kommt es nicht darauf an, diese Aussage möglichst präzise zu gestalten, so, dass es keine Deutungsalternativen geben kann, sondern darauf, durch bewusste Anwendung von Darstellungsweisen einen vorbedachten Grad der Präzision zu erreichen. Je weniger präzise die Aussage eines Werkes sich dem Betrachter offenbart, umso mehr Auslegungen und Sinngebungen gesteht der Künstler dem Publikum zu. In der unabdingbaren Einmaligkeit des Individuums findet das Werk des Künstlers seine ebenso einmalige Auslegung durch den Betrachter. Der Künstler erschafft mit seinem Kunstwerk einen Raum, bestimmt dessen Ausmaße, dessen Licht oder Schatten, dessen Stimmung und Anmutung, nicht aber den Standort dessen, der diesen Raum betrachtet. Somit wohnt dem Wirken der Kunst naturgemäß eine unumgehbare Ambivalenz inne. Sie kann zwar sehr direkt, jedoch nie völlig zielgerichtet in die Welt hineinwirken.

 

Betrachten wir hier als Beispiel Brechts Anweisung ans Publikum „Glotzt nicht so romantisch!“. Brecht bricht bewusst die eingefahrenen Muster des Theaterkonsums auf. Er will, dass das Publikum nicht schlicht das Bühnengeschehen mit passenden emotionalen Gesichtsausdrücken begleitet, sondern gibt die Anweisung zum Nachdenken. Er provoziert das Publikum in ungeheuerlicher Form. Er stößt damit einen Teil des Publikums vor den Kopf, einen anderen Teil bringt er dazu, die Rolle des Betrachters im Theater völlig neu zu denken. Kunst wird nie zwei ihrer Rezipienten zur gleichen Reaktion führen. Die Kunst birgt also zahlreiche Kommunikationsmöglichkeiten, auch aber Kommunikationsschwierigkeiten zwischen ihrem Sender und ihrem Empfänger. Hieraus erschließt sich die Notwendigkeit einer Vermittlung.